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Im Labyrinth des Lebens in unterschiedlichen Kulturen, Interview mit Tina Zickler

Stellen Sie sich vor: Sie stehen am Anfang eines Labyrinths, umgeben von unzähligen Pflanzen. Die Sonne scheint und hinter den Blättern schimmert etwas und zieht Ihre Aufmerksamkeit an. Am liebsten würden Sie sich den Weg schnell durch die grünen Hindernisse bangen, aber da würden Sie riskieren, ein paar Zweige zu brechen. Der Umweg dauert länger aber nur so kommen Sie ans Ziel mit einem guten Gewissen. Genauso wie im wahren Leben... Sie nähern sich einer überdimensionalen Nussschale, die mit dem goldenen Innenleben durch das grüne Dickicht schimmert. Das Ziel des Labyrinths ist nun erreicht. Was ist unterwegs passiert? Erinnern Sie sich noch, welche Bäume, welche Sträucher die grünen Wände des Labyrinths schmückten? Welche Geräusche haben Sie wahrgenommen? Wie fühlten Sie sich?

Das Labyrinth steht für den menschlichen Lebensweg, den Tina Zickler, Kuratorin der Outdoor-Ausstellung „Sharing Heritage: Labyrinths in Europe“ auf dem Schwarzenbergplatz, mitten in Wien kreiert hatte. Die Ausstellung ist vom 14.April bis zum 3.Juni 2018 kostenlos zugänglich und lädt alle zum Entschleunigen und zur Selbstreflektion ein.

Zusammen mit Tina Zickler gehen wir durch das Labyrinth, bleiben in der Mitte stehen und sprechen über die Symbolik dieser spannenden Figur für die heutige Zeit und für den Menschen, der „das Ziel nicht unbedingt als das Ziel wahrnehmen kann, sondern den Weg dahin“. Ohne diese Entschleunigung können wir nämlich eine ganze Menge im Leben verpassen.

Joanna: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Labyrinth hier im Herzen von Wien aufzubauen?

Tina: Ich beschäftige mich seit 2005 mit dem Thema Labyrinth und es ist einerseits vom grafischen her eine spannende Figur aber auch ein aussagekräftiges Symbol für den menschlichen Lebensweg. Es ist vor 5000 Jahren im Mittelmeerraum entstanden. Man weiß nicht wann und wo. Es ist auch ein Element, das man in der europäischen Kultur und über die Grenzen hinweg überall findet. Persönlich bin ich sehr Europaaffin und denke, dass Europa primär ein Friedensprojekt ist, auch wenn de EU in einigen Aspekten nicht perfekt ist. Mit meiner Installation wollte ich gern das “Gemeinsame” betonen und als ich erfahren habe, dass 2018 das Europäische Kulturerbe Jahr ist, dachte ich mir, ich möchte einen Beitrag leisten und ein Projekt ins Leben rufen. Dieses Projekt besteht auf einer Seite aus einem begehbaren kreisförmigen Pflanzenlabyrinth, bestehend aus vier hundert Pflanzen aus heimischen Sträuchern und Bäumen, darunter Flieder, Apfelbäumchen und Haselnuss. Auf der anderen Seite, befinden sich zwei Säulen mit Geschichte des europäischen Labyrinths außerhalb des Kreises. Das Labyrinth ist 330 Meter groß im Durchmesser und wird in der Mitte mit einer Skulptur einer Haselnussschalle von Marie Janssen verzehrt. Man kann diese Raumskulptur erleben, indem man durch das Labyrinth geht. Es ist kein Irrgarten mit den Sackgassen, in dem man sich verirren kann.

Joanna: Wenn Sie an das Symbol Labyrinth denken, und welche Geschichten es erzählt, was fehlt Ihnen ein?

Tina: Für mich steht es im Vordergrund, dass das Labyrinth den menschlichen Weg symbolisiert. Das kennt jeder von uns, dass man manchmal im Leben die Orientierung verliert, wenn man nicht so genau weiß, ob man in der Mitte bei sich selbst ist oder ob man vom wesentlichen abgekommen ist. Und es symbolisiert auch die Gelassenheit, wenn man Dinge entspannter betrachtet und reflektiert.

Für mich ist das Labyrinth auch ein Symbol der Gemeinschaft – alles ist miteinander verbunden. Es war mir ein großes Anliegen “Das Gemeinsame und das Verbindende zu betonen”. Ob wir eine kooperative Gesellschaft sind, oder eine, in der es um Macht und Dominanz geht, hängt von uns ab. In dem ersten Szenario können wir die Realität positiv verändern. Derzeit sind wichtige Männer der Weltpolitik alles andere als kooperativ – leider. Und das führt zu weiteren Kriegen und zu größeren Konflikten.

Joanna: Wenn Sie an die friedliche Zukunft mit allen Farben und Tönen der multikulturellen Welt denken, was würden Sie sich für das Labyrinth wünschen? Welche Menschen sollen sich hier begegnen?

Tina: Ich freue mich, wenn ich möglich viele Menschen damit erreiche. Das Labyrinth ist etwas, das man nicht konsumieren kann. Ein Gang in dem Labyrinth führt schon dazu, dass man sich selber wahrnimmt. Weil es seine gewisse Herausforderung ist, diese Umwege zu machen – zum Zentrum zu kommen und sich wieder vom Ziel zu entfernen. Auf der anderen Seite steht es einfach für die Gemeinschaft und ich glaube Menschen können hier reflektieren, wie sie sich in der Gesellschaft einbringen möchten. Mir war es wichtig, dass an dem Projekt Menschen, die geflüchtet sind, beteiligt werden und so entstand die Zusammenarbeit mit Nut & Feder, einer Werkstatt, die die beiden Säulen angefertigt hatte. In dem Labyrinth sind sich Menschen aus unterschiedlichen Kulturen begegnet – unterschiedliche Besucher aus unterschidlichen Ecken der Welt und natürlich Wiener. Von einer Frau, die aus Afghanistan geflüchtet ist bis zum Chinesischen Touristen, alle schlendern zwischen den Pflanzen zu den klängen der Musik von Flora St.Loup.

Joanna: Mit so viel Gefühl für die Kreation einer neuen ruhigen, grünen Sphere inmitten von Wien haben Sie ein Gesamtkunstwerk geschaffen, das Hoffnung ausstrahlt und zur Reflektion einlädt. Wie wird diese Einladung von Menschen angenommen?

Tina: Mir ist vor allem aufgefallen, wie wenig Geduld die Besucher mitbringen. Viele schaffen es gar nicht zur Mitte des Labyrinths zu gelangen, weil sie nach ein paar Schritten das Labyrinth verlassen. Ich finde es sehr schade, wie wir uns um die wertvolle Erkenntnisse rauben, nur weil wir denken, dass wir keine Zeit für eine neue Entdeckung haben. Was die Hoffnung betrifft, möchte ich auf das Gemälde von einem italienischen Künstler, von Bartholomeo Veneto hinweisen. Es zeigt einen jungen Mann, dessen Gewand ein Labyrinth schmückt. Er trägt auch eine Kopfbedeckung mit einer Brosche mit einem Schiff im Sturm und der Inschrift: “Esperance me guide” – „Die Hoffnung leitet mich“. Diesen Satz hatte ich zu meinem Motto für diese Installation gemacht. Es war extrem schwierig, das Projekt zu finanzieren. Durch den Regierungswechsel bekam ich nicht das versprochene Geld aber hatte die Hoffnung für die Realisierung meines Vorhabens nicht aufgegeben. Viele Menschen haben mich unterstützt und so siehe ich es als ein Experiment.

Joanna: Was bedeutet ein Labyrinth für Sie im interkulturellen Bereich?

Tina: Es bedeutet für mich die Vielfalt mit der es interpretiert werden kann. Zum Beispiel in Indien wurde es in einem Relief verewigt, wie ein Herrscher auf einem Wagen seine Armee in der Formation eines Labyrinths zur Schlacht führt. Es soll bedeuten, die Armee ist unüberwindlich. Gleichzeitig ist es in Indie ein Symbol der Schwangerschaft und Geburt, genauso wie bei den Hopi Indianern. So sieht man, dass Kulturen keine Grenzen kennen.

Joanna: Die Kulturen haben in der Tat keine Grenzen und beeinflüssen sich gegenseitig, wovon die Sammlung von Labyrinthen überzeugt. Vielen Dank für das tolle Gespräch und die beeindruckende Geschichte, die sich hinter diesem Projekt verbirgt. Ich wünsche Dir vor allem Besucher, die sich auf die Entschleunigung einlassen und die Erfahrung in dem Labyrinth auf das eigene Leben übertragen.

Mehr zu der Outdoor Ausstellung "Sharing Heritage: Labyrinths in Europe" auf dem Schwarzenbergplatz in Wien finden Sie hier: http://www.labyrinths-europe.wien
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